Gesamteinschätzung
Die Stadt Tanna liegt in einem Landkessel der oberen Wettera mit Blick auf den Saale- und Frankenwald und auf Teile des Fichtelgebirges und Thüringer Waldes.
Schon vor 1200 hatte sich am Fuß des Kirchberges – und in enger Verbindung zur dort ansässigen Parochie Tanna – eine Ansiedlung entwickelt, aus der eine kleine Stadtanlage mit zentralem Marktplatz entstand. Im Laufe der Zeit dehnte sich der Ort langzeilig entlang der Wege nach Koskau (Plauen, später zum Bahnhof) und Frankendorf (Schleiz) aus. Erst 1495 erhielt Tanna das Stadt- und Marktrecht.
Der Marktplatz mit seinen allseits einmündenden Straßen und Gassen, der einheitlichen Bebauung aus zweigeschossigen Wohnhäusern, die geringfügig vom Rathaus und dem einstigen Gasthaus „Zum Stern“ überragt werden, ist die historische Ortsmitte des Landstädtchens Tanna. Einst bildete er mit dem nordwestlich anschließenden Pfarrgut, einer Niederlassung des Deutschen Ordens, und der nur 60 Meter entfernten Stadtkirche St. Andreas eine städtebauliche Einheit.
In erster Linie dient der Marktplatz, über den die Landesstraße 1090 mit erheblichen Anteilen an Schwerlastverkehr führt, heute der Verkehrsverteilung und als zentraler Halte- und Wendepunkt von acht Buslinien. Andere Nutzungen, wie Märkte, Stadtfeste, Geschäftsauslagen, gemütliches Verweilen oder Anliegerparken müssen sich diesen primären Raumbeanspruchungen unterordnen oder bleiben verwehrt. Ein gestalterischer Anspruch der Außenanlagen ist nicht mehr erkennbar. Die Oberflächenbefestigung genügt weder den gegenwärtigen Nutzungsansprüchen noch der gewünschten Aufenthaltsqualität und die Platzgestalt leidet unter den uneinheitlichen und abgehenden Baumbeständen.
Auch im Bereich des ehemaligen Pfarrgutes und der Stadtkirche haben sich städtebauliche Mängel angestaut. Nicht nur das Ortsbild störende Bauten, wie das nicht mehr benötigte Heizhaus mit der hohen Esse oder die Garagen auf dem Hof des Pfarrgutes, die bedrückende Rückfront des Schulgebäudes, zerfahrene Beläge im Pfarrgässchen, unbefriedigende Zugangsmöglichkeiten zur Stadtkirche bzw. Zufahrtsmöglichkeiten für eine immer älter werdende Einwohnerschaft, verlangen nach einem städtebaulichen Gesamtkonzept, in das verbesserte Nutzungsvoraussetzungen ebenso wie der Erhalt und die Aufwertung des Orts- und Landschaftsbildes einfließen müssen.
Die Stadt Tanna hat im Jahr 2008 begonnen, eine städtebauliche Konzeption zur Neugestaltung des historisch bedeutsamen, unter Denkmalschutz stehenden Kernbereiches der Stadt zu erarbeiten. Mit den einschlägigen Planungsarbeiten wurde ein Thüringer Büro beauftragt. Die Ergebnisse der umfassenden Bestandsanalyse und das Entwurfskonzept wurden den politischen Entscheidungsgremien, Planungsbeteiligten und Fachbehörden im Jahr 2009 vorgestellt: dem Stadtrat, dem Ortsteilrat und dem Bauausschuss mit sachkundigen Bürgern, dem Gemeindekirchenrat und dem Pfarrer der Stadtkirche, sowie der Unteren Denkmalbehörde im Landratsamt Schleiz. Mit dem Straßenbauamt Ostthüringen in Gera und der Omnibus Oberland GmbH haben die Abstimmungen begonnen.
Allgemeine Zielstellungen für die Aufwertung des bedeutungsvollsten Ortes der Stadt Tanna durch Maßnahmen der Freiraum- und Stadtgestaltung bzw. der Verkehrsorganisation, sind:
• die Stärkung des funktionellen und gestalterischen Zusammenhangs im Ensemble
Markt – Stadtkirche – Pfarrgut und die Wiedererlebbarkeit der Stadtkirche aus dem
Stadtraum
• die Verbesserung der Nutzungsqualität des 3000 m2 großen Marktplatzes als
Geschäftsstandort und Sitz der Verwaltung
• die Erhöhung der Attraktivität und Aufenthaltsqualität auf dem Marktplatz durch
einen modernen Verkehrsansatz zur Aufhebung der herkömmlichen Trennung von
motorisiertem Verkehr, Radfahrern, Fußgängern und spielenden Kindern
(vergleichbar den Inhalten des europäischen Projekts „Shared Space“ – und des
bereits langjährig auf dem Marktplatz praktizierten, rücksichtsvollen Miteinanders
aller Verkehrsteilnehmer)
• die Sanierung des Anlagenbestandes auf dem Pfarrgut in Verbindung mit einer
langfristigen und wirtschaftlich tragfähigen Nutzungskonzeption
• die Verbesserung der Anschlüsse an angrenzende Straßen und Gassen sowie der
Übergänge in den Landschaftsraum
• und die notwendige Modernisierung von technischen Medien
Aus der Werte-Mängel-Analyse ergaben sich darüber hinaus zahlreiche Einzelziele zur Aufwertung von Raumsituationen und Blickbeziehungen, zur Neugestaltung von Bodenbelägen und Grünanlagen und zur Sanierung stadtgestalterisch wichtiger baulicher Objekte, die teilweise auch alternativ aufgezeigt werden.
Die darauf aufbauenden Vorstellungen zur neuen Marktplatzgestaltung und zur Neugestaltung des Ensembles Pfarrgut – Stadtkirche sind in der vorliegenden Konzeption bildhaft gemacht.
Schwerpunkte im Bereich des Marktplatzes bilden: eine durchgängige, die Landesstrasse mit einbindende Pflasterung, verbreiterte Gehwege mit ausreichendem Platz für kleinkronige Baumreihen und Sitzbänke, ein neuer Brunnen mit Brunnenplastik, die Nachpflanzung des Symbolbaumes Tannas an einem geringfügig verschobenen Standort und die Neupflanzung von Einzelbäumen an den Einmündungen der Öl- und Bachgasse.
Im Bereich des Kirchbergs sollen bequem zugängliche Frei- und Gartenanlagen attraktive Begegnungsorte schaffen:
die Pflasterungen des Pfarrgäßchens und des Pfarrhofes werden erneuert und die Natursteinmauern neu gesetzt, neben der Alten Schule entsteht ein zusätzlicher Aufgang zur Stadtkirche, der eine behindertenfreundlichere Alternative zum bisherigen engen Tordurchgang und der anschließenden steilen Treppe bieten soll, tragfähig ausgebaute Rasenflächen zur Kirchgasse und vor dem Friedhof ermöglichen ein kurzzeitiges Beparken durch PKW´s.
Motive, Maße und die Gliederung der Entwurfselemente nehmen Bezug auf ein dem historischen Bestand innewohnendes Vermessungsschema, dass eine ideelle Verbindung zwischen der Hofanlage des Deutschen Ordens, der St. Andreaskirche und dem Markt herstellt.
Für das Areal um die leerstehende „Alte Schule“, deren gewerbliche Umnutzung mit bisher nicht untersuchten Auswirkungen auf das städtebauliche Umfeld verbunden sein wird, liegen vier Varianten vor, die in unterschiedlichem Maß versuchen, Stadtraumqualitäten, Nutzungsanforderungen und Denkmalschutzstatus in Übereinstimmung zu bringen:
1 - Erhalt und Umnutzung des Schulgebäudes, Abriss der Nebenanlagen
2 - Teilerhalt mit reduzierter Grundfläche und Geschoßzahl (Baukörper um 1857)
3 - Abriss des Schulgebäudes unter Erhalt und Nutzung des historischen Gewölbekellers
4 - Totalabriss, Herstellung einer Raumsituation vergleichbar vor 1645
Aus der Abwägung der Vor- und Nachteile einer engeren Verzahnung und Belebung des öffentlichen Raumes zwischen Markt und Stadtkirche bzw. Markt und Pfarrgut, und der privaten gewerblichen Umnutzung des denkmalgeschützten Schulgebäudes zeichnet sich die Variante 3 als Vorzugslösung ab. Variante 3 beinhaltet den Abriss des nach dem Stadtbrand 1857 massiver als zuvor wieder aufgebauten Hauses, die Sanierung des zu erhaltenden alten Gewölbekellers und die Einbindung der begehbar gestalteten Dachfläche in den öffentlichen Raum.
Für die Bewertung der Nachhaltigkeit von kommunalen Investitionen, für die Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und die Vermeidung von Konflikten, die erst durch die geplanten Baumaßnahmen ausgelöst werden, müssen alle Einflussgrößen und Folgewirkungen auf den Prüfstand.
Ausschlaggebende Argumente für den vorgelegten Entwurf und gegen den Erhalt und die gewerbliche Umnutzung des mehrfach umgebauten und beim Wiederaufbau 1859 auf 1000 m² Funktionsfläche aufgestockten und weitestgehend entkernten Schulgebäudes sind, dass:
• keine Erschließungsmöglichkeiten für Anlieferverkehr und PKW-Stellflächen aus der
Kirchgasse (L 1090) bestehen oder geschaffen werden können und aufgrund der
räumlichen Beengtheit des Grundstücks auch keine Nebennutzungen in der
Außenanlage unterzubringen sind,
• die Erschließung für Anlieferfahrzeuge und die Unterbringung der Parkflächen erst
hergestellt werden muss und dafür zwangsläufig private Flächen des Pfarrgutes
benötigt werden,
• notwendige Funktionsbausteine für eine gewerbliche (oder andere) Nutzung, wie
ausreichende Sanitäranlagen oder ein Personen- und Lastenaufzug ohne Störung der
innenräumlichen Struktur oder ohne weitere Durchbrüche in den Gewölben nur der
Außenfassade angefügt werden können,
• die erforderliche Distanz zur Stadtkirche nicht gewahrt bleiben kann und die
unbefriedigende rückseitige Raumsituation verfestigt wird,
• eine zukünftige Entwicklung des Pfarrgutes als Begegnungsort und der idyllische
Übergang in den Landschaftsraum nachhaltig beeinträchtigt ist.
• die Chance zur Einbindung des Pfarrgutes in den öffentlichen Raum der „Ortsmitte“
nicht dadurch vertan wird, dass eine neu installierte, massive Privatnutzung die
öffentlichen Bereiche stärker voneinander trennt, als dies bisher der Fall war.
Nach Abschluss der Diskussion soll im Frühjahr 2010 das Rahmenkonzept als Grundlage für weiterführende Planungsarbeiten zur städtebaulichen Sanierung übergeben werden.